Im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg findet derzeit diese Ausstellung statt: Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt.
Den Besuch für diese Ausstellung hatte ich im Dezember geschenkt bekommen und nun war es soweit: zusammen mit meiner Tochter machten wir uns auf den Weg durch dieses Ausstellung.
Meine Tochter als Sozialpädagogin betrachtet die Situation hier durch die Sozial-Brille und ich durch die Architektur- bzw. Wohn-Brille. Also, interessant für uns beide, und auch seit vielen Jahren ein Thema, das uns immer wieder mal beschäftigt.
Schon der Aufgang in den Ausstellungsraum ist beeindruckend: über uns hingen auf gespannten Seilen viele Schlafsäcke. Sie symbolisieren die in Hamburg im Jahr 2021 verstorbenen 43 Personen, die ohne Obdach waren. Wenn man davon in der Zeitung liest, ist man erschüttert, aber hier die leeren Schlafsäcke zu sehen, ist nochmal etwas anderes. Fragen türmen sich auf:
Wie kann das sein in einer reichen Stadt wie Hamburg?
Foto: Erika Mierow
Lange, sehr lange bleiben wir vor diesem
Foto hier -auf einer Treppe - sitzen und lassen
es auf uns wirken.
"Das Foto zeigt die Situation obdachloser Menschen während derCorona-Pandemie in San Francisco. Es ist das erste befristet genehmigte Zeltlager in SanFrancisco. Es ist nicht nur der Gegensatz von stationärer und mobiler Architektur, sondern auch von Bürokratie, Verwaltung und Macht gegenüber Armut, Improvisation und fehlender Unterstützung." (MK&G)
Ich bin mir sicher, dass die Räume des Rathauses in San Francisco nachts leer stehen.
Wie übrigens andere Gebäude wie Büros, Läden, usw. auch. Es erschüttert mich zu sehen, dass die Menschen auf dem Asphalt liegen und man ihnen feste Zonen zugewiesen hat. Na klar, Abstand halten war die Devise.
Der gesamte Bereich (ist es eigentlich ein Parkplatz?) mit den Zelten ist eingezäunt .... wer oder was soll hier geschützt werden?
Die Statue im Zentrum ist bepflanzt, aber ebenfalls abgesperrt. Gerade Naturzugang und Begegnungsräume wären sinnvoll. Ich weiß, ich weiß, es sollte doch Abstand gewahrt werden.
Die Hundebesitzer in meinem Stadtteil in Hamburg hatten sich im lockdown miteinander verabredet und dann in einer großen Runde - mit Abstand!! - zusammengestanden. Es geht also.
Einzige Beleuchtung sind die Straßenlaternen.
Einerseits finde ich es gut, dass Wohnungslose nicht vergessen wurden, andererseits finde ich die Maßnahme bestürzend.
Foto: MK&G
Meine Tochter und ich kommen nicht weit: schon nach weiteren zwei Metern bleiben wir wieder stehen und diskutieren über die Frage einer Adresse. Was bedeutet es, keine zu haben? Aus der Wohn- und Architekturpsychologie wissen wir, dass wir durch unser Wohngebäude und unser Quartier, eine gute Nachbarschaft und einer Adresse ein Gefühl für den Ort entwickeln und so zu einer Ortsidentität gelangen. Eine Adresse bildet also einen Teil unserer Identität. Ohne eine Wohnadresse ist es nicht möglich, umfassend an unserer Gesellschaft teilzunehmen.
Zum Beispiel Gesundheit. Wer keinen Wohnsitz hat, erkrankt häufiger. Und wohin soll sich ein:e kranke:r Wohnungsslose:r eigentlich wenden?
Privatsphäre? ist nicht gewährleistet beim Leben auf der Straße, ausgesetzt Blicken und möglichen Übergriffen.
Während wir in der Ausstellung waren, stand allerdings draußen vor dem Museum ein Duschbus, der Wohnungslosen ermöglicht, zu duschen. Das ist auch eine tolle Initiative.
Dann gehen wir doch weiter in den Raum hinein.
Auffallend: auf dem Boden sind in 1,5 Metern Abstand markierte Betten im Maß 90x200cm aufgezeichnet. Natürlich liegt dort niemand auf dem Parkett (warum eigentlich nicht?), und wir achten darauf, auf Niemandes aufgemalte Kissen oder Bettdecke zu treten.
An den Wänden gibt es aus den größten Städten der Welt und aus Deutschland Informationen über die wohnungslosen Menschen dort.
Da ich davon ausging, dass es die nur in den westlichen (kapitalistischen) Ländern gibt, war ich überrascht davon, dass es in Moskau und in Shanghai ebenfalls Menschen gibt, die auf der Straße leben. Sie werden dort nur anders definiert - dort zählt man dann eben weniger Betroffene.
Bei meinen Reisen nach Indien hatte ich eine Vielzahl von Menschen gesehen, die am Rande der Straßen leben. Interessant ist, dass sie Planen oder Moskitonetze als Schutz brauchen, während man in London, Berlin oder Hamburg einen festen Schutz braucht. Die Maßnahmen mögen unterschiedlich sein, das Bedürfnis nach Schutz ist jedoch universell.
Inzwischen gibt es jedoch überall auf der Welt gute Ideen und Konzepte für eine Verbesserung der Verhältnisse.
Wussten Sie, dass die EU sich vorgenommen hat, bis 2030 Obdachlosigkeit abgeschafft zu haben?
Auf der Wand hinter mir und 3D-Modellen werden die unterschiedlichen Wohnmöglichkeiten vorgestellt. (sh. Foto).
In Hamburg kennen wir Hinz&Kunzt. Es ist ein Straßenmagazin, zur Zeit das auflagenstärkste in Deutschland. Das Heft wird von Profis gemacht und von mehr als 500 Obdachlosen, Wohnungslosen, Ex-Obdachlosen und von Menschen in prekären Lebenslagen auf der Straße verkauft. In der Ausstellung wird ein Filmchen von Hinz&Kunzt gezeigt über eine kleine mobile Ganzdach-Hütte, in der man übernachten kann. Die Dachflächen könnten für großflächige Anzeigen gemietet werden. Eine gute Idee. www.hinzundkunzt.de.
Foto: Erika Mierow
Housing First - Noch eine gute Idee! Es ist ein Konzept, in dem dauerhafter Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, in dem Selbstbestimmung und Privatsphäre gewährleistet sind. Studien deuten darauf hin, dass sich Housing First als erfolgreich erweist. Housing First betrachtet Wohnen als ein Menschenrecht, nicht als Belohnung. Solche Wohnungs-Möglichkeiten erfordern weitere unterstützende Maßnahmen, die sicherstellen, dass Menschen auch langfristig in ihren Wohnungen bleiben können.
Diese Ausstellung heißt "Who's next?"
Die Frage, wer als Nächste:r von Obdachlosigkeit betroffen sein könnte, zeigt:
es ist kein Problem mehr randständiger Milieus. Gesellschaften geraten durch die Krisen unserer Zeit zunehmend unter Druck. Und ich behaupte, dass auch unser System Verlierer:innen produziert.
Viele Fragen stellen sich mir und es rumort in meinem Kopf. Natürlich kann jede:r Einzelne etwas tun, müsste es aber nicht von uns gemeinsam gelöst werden?
Wohnen ist ein Grundrecht und es braucht dazu nicht viele Quadratmeter. Und Ressourcen gerechter zu teilen wäre auch gut.
Die Ausstellung wurde von der TU München konzipiert und ist noch bis zum 12. März 2023 in Hamburg zu besuchen. Hier ist noch ein link zur Seite des Museums für Kunst & Gewerbe zu dieser Ausstellung: https://www.mkg-hamburg.de/ausstellungen/whos-next
Hamburg, 17. Januar 2023
Foto: Erika Mierow